Auszug aus einer feierlichen Silvesteransprache des Genossen Michailow, Leiter der sowjetischen Kominternschule (Stätte zur Ausbildung ausländischer Funktionäre der Kommunistischen Internationale) vor Studenten, Dezember 1942:
[...]
Er sprach von den Gefahren und der Schönheit des revolutionären Lebens.
Am Ende seiner kurzen Ansprache nahm er eine Streichholzschachtel heraus: "Vielleicht", sagte er, "kann ich die Gedanken und Gefühle, die ich jetzt habe, leichter durch ein Beispiel erklären."
Dabei hatte er schon ein Streichholz herausgenommen und es angezündet. In wenigen Sekunden war das Streichholz verbrannt, und nur ein wenig asche war übriggeblieben.
Michailow schaute uns freundlich, ein wenig nachdenklich an.
"Ist das nicht wie das Leben eines gewöhnlichen Menschen? Es brennt erst klein, dann wird es größer, und schließlich verbrennt es. Ein bißchen wertlose Asche bleibt übrig. Ein Mensch lebt, arbeitet, gründet eine Familie, bringt Kinder zur Welt, stirbt, wird betrauert, im besten Fall von seinen Familienangehörigen und einigen wenigen Bekannten. Ein nutzloses, überflüssiges Leben.
Wenn wir dagegen unser* Leben betrachten - ein Leben voller Erlebnisse, Gefahren, Reisen, Gefängnisse, verantwortlichen Funktionen, inmitten der Riesenfamilie, die wir Partei nennen, mit einem klaren festen Ziel als Baustein für eine neue Welt, im Tod betrauert von der großen Zahl der Genossen - ist das nicht etwas ganz, ganz anderes als das wertlose Streichholz?"
* mit "uns" meint er alle Genossen, Funktionäre und politisch Aktiven der damaligen SU.
Auszug aus: "Die Revoltuion enlässt ihre Kinder" von Wolfgang Leonhard. S. 195
| |